Der Säure-Basen-Haushalt ist heutzutage in aller Munde, wenn von einer „Übersäuerung“ die Rede ist. Der Schulmediziner hält die Übersäuerung häufig noch für einen Mythos, da die umfassenden wissenschaftlichen Belege nicht Teil seiner Ausbildung waren. Er kennt den Begriff „Übersäuerung“ als „Azidose“, die aber tatsächlich nur sehr selten auftritt. Dass der Mediziner den Begriff sprachlich falsch verwendet, ist ihm nicht bewusst; er meint damit eigentlich eine „Azidämie“, also eine Übersäuerung des Blutes. Die Naturheilkunde verwendet dagegen den Begriff Azidose korrekt.
Die Wortendung „-ose“ bezeichnet in der Medizin eine pathologische Zustandsveränderung, wie Arthrose oder Kollagenose. Veränderungen im Blut werden hingegen korrekterweise mit der Wortendung „-ämie“ bezeichnet. Das korrekte Verständnis einer Azidose bedeutet also eine insgesamt erhöhte Belastung mit Säuren. Bei dieser Bezeichnung sind der Intrazellulärraum und die extrazelluläre Matrix inbegriffen. Dort findet die größte Ansammlung von Säuren statt.
Trotz Klärung der sprachlichen Widersprüche ist das Thema komplex und auf den ersten Blick häufig widersprüchlich. Der Verzehr von Zitronen- oder Milchsäure soll gesund sein und basisch machen. Auch die kurzkettigen Fettsäuren wie Buttersäure, Essigsäure und Propionsäure, die im Darm von unseren Untermietern gebildet werden, machen nicht sauer, sondern fördern die Gesundheit. Dagegen machen Fleisch, Käse und Quark „sauer“, obwohl sie gar nicht sauer schmecken.
Sulfat, Chlorid und Phosphat bilden starke anorganische Säuren
Die Naturheilkunde beobachtet Korrelationen und Phänomene oft in korrekter Weise, liefert aber nicht selten falsche Erklärungsmodelle für deren Ursachen und für die biochemischen Prozesse, die dahinterstecken. Es können tatsächlich nicht die Säuren (Protonen) sein, die die Probleme verursachen, denn wer Sport macht produziert so viel Milchsäure, dass sein Blut wirklich übersäuert. Aber das schadet ihm nicht, sondern ist in einem gewissen Rahmen sogar gesund.
Problematisch sind die anionischen Bindungspartner (Sulfat aus dem Abbau schwefelhaltiger Aminosäuren, Chlorid- und Phosphor-Verbindungen), die zusammen mit Protonen starke anorganische Säuren bilden, sowie die starke Base Ammoniak. Diese Verbindungen sind reaktionsfreudig und aggressiv.
Auch diese Stoffe sind für den Organismus in der richtigen Menge lebenswichtig. Doch sie sind potentiell schädlich, wenn auf Dauer mehr davon zugeführt als ausgeschieden werden – also insbesondere dann, wenn im Alter die Pufferreserven geringer werden und die Nierenfunktion immer mehr abnimmt.
Übersäuerung fördert Risiko für Nierenschäden
Nierenversagen ist eine wesentliche Komponente bei der Zunahme unserer Zivilisations-Erkrankungen und eng verbunden mit unserer salz- und proteinreichen, relativ kaliumarmen Ernährungsweise. Dieses Problem ist bei Säugetieren, die reine Fleischfresser sind, bereits bekannt: Eine der Haupttodesursachen von Katzen ist Nierenversagen. Der Grund für dieses Phänomen besteht insbesondere darin, dass bei einer proteinreichen, kaliumarmen Ernährung die Nieren Ammoniak als Puffer der ausscheidungspflichtigen Säurelast verwenden. Das hochtoxische Ammoniak schädigt auf Dauer jedoch nicht nur die Nieren, sondern auch andere Gewebe. Diese Effekte wirken nicht über Monate oder Jahre hinweg schädlich, sondern erst über Jahrzehnte. Daher fällt es der Schulmedizin schwer, die Kausalitäten zu erkennen, geschweige denn anzuerkennen, obwohl diese heute in hohem Maße belegt sind.
Zahlreiche gesundheitliche Folgen der Azidose
Langfristige Folgen der latenten Azidose sind: Abnahme der Nierenfunktion bis hin zur Niereninsuffizienz, Nierensteine, Muskelabbau, Knochendemineralisierung, intrazelluläre Ionenverschiebungen und damit verbundene Verminderung des Membranpotentials mit erhöhter Erregbarkeit und gesteigerter Zellproliferation, erhöhtes Schmerzempfinden durch erhöhte Erregbarkeit der Schmerznerven, Hypertonie, erhöhtes Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko, ein proentzündliches Milieu und ein Elastizitäts- und Funktionsverlust des Bindegewebes. Eine chronische metabolische Azidose und eine salzreiche, kaliumarme Ernährung können auch die Intelligenz beeinträchtigen und die Entstehung einer Demenz fördern.
Der Säure-Basen-Haushalt ist untrennbar mit dem Mineralstoff-Haushalt verbunden. Beide interagieren miteinander auf komplexe Weise. Der Natrium-Protonen-Antiporter ist der wichtigste Weg der intrazellulären Entsäuerung. Bei einer geringen Zufuhr basenbildender Kaliumverbindungen kommt es dadurch in der Zelle zu einer Natrium- und Calciumüberladung sowie zu einem Kalium- und Magnesiummangel. Folgen sind Zellödeme, Hypertonus, eine Steigerung der Zellteilung sowie ein vermindertes Ruhepotential mit erhöhter Erregbarkeit, das bis hin zu Herzrhythmusstörungen führen kann.
Kaliumreiche, salzarme Ernährung zur Vorbeugung von Krebs
Zahlreiche Studien zeigen: Eine erniedrigte Aktivität der Natrium-Kalium-Pumpe und eine erhöhte Tätigkeit des Natrium-Protonen-Antiporters sind typisch für Krebskranke. Je höher die intrazelluläre Natriumkonzentration und je niedriger die Kaliumkonzentration, desto aggressiver sind die Tumoren. Der deutsche Arzt Max Gerson setzte im letzten Jahrhundert eine salzarme und sehr kaliumreiche Ernährung (Rohkost) als Therapieansatz bei Krebserkrankungen ein. Tatsächlich können die Normalisierung der Natrium-Kalium-Konzentrationen und eine Aktivierung der Natrium-Kalium-Pumpe nachweislich durch körperliche Aktivität, Schilddrüsenhormone, Kaliumüberladung und Polyphenole erfolgen, was im Wesentlichen dem empirischen Ansatz von Gerson entspricht (sehr viel Rohkost, Kalium- und Jod-Supplementierung; cave: Kontraindikationen).
Eine chronische Azidose des Organismus mit Übersäuerung der Tumornische ist nicht nur eine für die Metastasierung günstige Begleiterscheinung, sondern auch ein für die Kanzerogenese wichtiger Kausalfaktor. Sowohl eine verminderte Aktivität der Natrium-Kalium-Pumpe als auch eine Übersäuerung reduzieren die Spannung des Membranpotentials. Dies ist ein entscheidender Schritt in der Krebsentstehung, denn das Membranpotential reguliert Zellwachstum und Differenzierung.
Natriumbikarbonat entsäuert zwar wirkungsvoll, dürfte aber die anabolen Wirkungen der intrazellulären Alkalisierung noch verstärken. Insbesondere bei Krebserkrankungen ist sein Einsatz damit nicht sinnvoll. Therapeutisch stehen die Aktivierung der Natrium-Kalium-Pumpe sowie Polyphenole und reichlich basenbildende Kalium- und Magnesiumverbindungen, z. B. in Form von gut verträglicher pflanzlicher Rohkost und ggf. Supplementen, unter Beachtung eventueller Kontraindikationen im Mittelpunkt.
Azidosestarre der Erythrozyten verursacht Durchblutungsstörungen
Im Alter kann eine leichte chronische Azidose den Bikarbonatpuffer im Blut reduzieren und im Zusammenspiel mit Durchblutungsstörungen Erythrozyten für eine „Azidosestarre“ prädestinieren. Eine lokale Durchblutungsstörung und eine dadurch verursachte lokale Gewebsazidose führen dabei zum Anschwellen und Erstarren der Erythrozyten und somit zum Ende der Mikrozirkulation, was nicht selten der Grund für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall ist.
Basenbildende Ernährung für Säure-Basen-Balance
Diese Zusammenhänge zeigen, dass besonders ältere Menschen, Übergewichtige, Diabetiker, Frauen nach der Menopause, Sportler und Dauergestresste auf eine ausreichende Zufuhr von Basen- und Mineralstoffen achten sollten. Gemüse, Kräuter und Obst sind reich an Kalium, Magnesium und Calcium und wirken im Stoffwechsel basenbildend. Unterstützend sind Bewegung und ein gesundes Darmmilieu. Ebenso wichtig ist die Reduktion von tierischem Protein, das durch seinen Reichtum an Methionin und sehr gut resorbierbarem Phosphat deutlich säurebildender ist als pflanzliches Protein.