Wir Deutschen halten uns für gesundheitsbewusst, haben aber objektiv die wengisten gesunden Lebensjahre in Europa. Mit einem besonders hohen Konsum an Fett und Tierprotein sind wir auch die dicksten Europäer, wie die International Association for the Study of Obesity (IASO) feststellte: 75,4 % der Männer und 58,9 % der Frauen in Deutschland haben einen Body-Mass-Index (BMI) über 25 kg/m2. Interessanterweise gibt es im Pasta- und Tomaten-liebenden Italien die wengisten Übergewichtigen und Adipösen Europas.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist durch die Lebensform-Bewegung, Bircher-Benner, Kneipp und Kollath in Deutschland bekannt, dass Vollkorn gut und Zucker und Weißmehl nicht gut für uns sind. Leider gehen die ganzheitlichen Grundprinzipien einer gesunden Ernährung auch in naturheilkundlichen Kreisen zunehmend verloren oder werden durch Modetrends mit pseudowissenschaftlichem Unterbau ersetzt.

Atkins, Low Carb und sogenannte ketogene Diäten gegen Krebs definieren eine gesunde Ernährung einseitig und stark irreführend über den Kohlenhydratgehalt und treffen keine Aussage über den echten Gesundheitswert von Lebensmitteln. Wir Menschen lieben einfache Antworten auf die Komplexität des Lebens. Ein Sündenbock wie Kohlehydrate sind uns lieber als eine differenzierte Sichtweise der Nährstoffqualitäten, deren Wirkungen, die Bedeutung der Gesamtkalorienaufnahme und das vielschichtige Zusammenspiel von Stoffwechsel­abläufen. Doch gerade die Einseitigkeit ist der Weg in die Krankheit und nicht der Weg aus der Krankheit. Ein wissenschaftlicher Tunnelblick, der aus der Kombination von tief­gründigem Einzelwissen und mangelndem Verständnis der Zusammenhänge entsteht, entfernt uns immer weiter von einer natürlichen, gesunden Lebensweise.

Kohlenhydratreduzierte Diäten stellen den Blutzuckerspiegel in den Vordergrund, doch zahl­reiche Studien belegen, dass die Insulinantwort einen weitaus wichtigeren Einfluss auf uns hat. Insulin und insulinartige Wachstumsfaktoren wirken stark anabol und sind wesentlich an der Entstehung unserer Zivilisationskrankheiten beteiligt, indem sie direkt Einfluss auf die zentralen Stoffwechselabläufe, Zellwachstum, Apoptose, Blutdruck, Puls und Cholesterinsynthese nehmen. Wesentliche Ergebnisse der Forschung, wie der sogenannte Insulin-Index, der bereits seit 1997 bekannt ist, werden nicht thematisiert. Wer hätte gedacht, dass 260 g Erdbeerjoghurt eine fast doppelt so hohe Insulinausschüttung wie 625 g geschälte Orangen verursacht, dass Steak und Fisch deutlich mehr Insulin mobi­li­sieren als Spaghetti al dente (je eine Portion mit 1.000 KJ).

Darüber, was die natürliche Ernährung des Menschen ist, streiten sich vor allem populär­wissenschaftliche Autoren, während bei Fachleuten in der Ernährungswissenschaft seit Jahr­zehnten weitgehend Einigkeit herrscht, da die Biochemie des Stoffwechsels und die Epidemiologie eindeutige Antworten liefern. Ebenso wenig zielführend ist die Spekulation über unsere Steinzeitgene und daraus abgeleitete Diäten. Steinzeit-Diäten waren in ihrer Zusammensetzung sehr unterschiedlich und entsprachen im Wesentlichen den Möglich­keiten der Klimazone. Natürliche, nicht verarbeitete Nahrungsmittel und sehr viel Beweg­ung verbinden alle Naturvölker und sind Grundlage jeder gesunden Lebensweise. Die Zusammen­setzung der Makronährstoffe variiert stark, doch sie scheint einen entscheidenden Einfluss auf die Lebenserwartung und die Lebensqualität im Alter zu haben, wie das Beispiel der Okinawa-Bewohner und Inuit zeigt.

Die China Study – laut New York Times der Grand Prix der epidemiologischen Forschung – und die seit 1975 laufende Studie mit den Hundertjährigen von Okinawa liefern handfeste und wissenschaftlich fundierte Daten. Sie zeigen, wie nachhaltig eine Ernährung, die sehr wenige tierische Lebensmittel enthält, vor Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützt und das gesunde Leben verlängert. Zivilisationskrankheiten korrelierten in der China Study am stärksten mit den Serum-Cholesterinwerten und dem Verzehr von Tierprotein.