Der ernährungswissenschaftliche Klassiker „Ernährung des Menschen“ (Elmadfa und Leitz­mann, 2004) bestätigt, dass die traditionellen Ernährungsweisen viel mehr der Natur des Menschen entsprechen, als die moderne westliche Ernährung: „Die evolutionsgemäße Kost bedeutet heute für fast alle Menschen eine gemischte, jedoch stark überwiegend pflanzliche Kost, die somit als die natürliche Ernährung des Menschen angesehen werden kann.“ Dies zeigt sich nicht nur an der Entwicklungsgeschichte des Menschen, sondern noch heute u. a. an der Anatomie des menschlichen Gebisses und des Darms sowie der Enzymausstattung. So hat der Mensch keine eigene Vitamin-C-Synthese und verfügt über einen schlechten Harnsäure- und Cholesterinabbau.

Wenn wir nochmals zu den „paradiesischen Verhältnissen“ in Okinawa zurückkehren, hatten die Okinawas eine „artgerechte“ Ernährung. Die Alten waren zeitlebens schlank und mei­stens bis ins hohe Alter gesund. Ihnen gelang es erfolgreich, ihre traditionelle Lebens­weise mit den Errungenschaften der westlichen Zivilisation zu kombinieren und die weltweit längste Lebenserwartung mit den meisten gesunden Lebensjahren zu erreichen. Ihre Haupt­­energiequelle ist die kohlenhydratreiche, carotinoidreiche Süßkartoffel (niedriger glykämischer Index). Zucker und Weißmehl werden traditionell nicht verzehrt. Dazu werden große Mengen flavonoidreicher Pflanzkost (Tofu, Gemüse, Bittermelone, Curcuma) verzehrt.

Der oxidative Stress ist sehr niedrig, die Gefäße sind auch bei den Ältesten wenig gealtert. Denn die Ernährung ist antioxidantienreich und die Produktion von freien Radikalen wird im Stoffwechsel durch die geringe Kalorienzufuhr gering gehalten. Im Blut haben sie sehr hohe Antioxidantien- und hohe Isoflavon-Werte (Soja), bis ins hohe Alter höhere und stabilere Hormonpegel als US-Amerikaner sowie sehr niedrige Spiegel an Lipidperoxiden und Homo­cystein. Auch die Prävalenz von Demenz (Prävalenz 6,7 % bei den 80- bis 90-Jährigen) ist vergleichs­weise sehr niedrig. Im Gegensatz zur säurelastigen, westlichen Ernährung hat die Okinawa-Ernährung eine hohe basische Wirkung auf den Stoffwechsel und die Nieren (PRAL-Wert -75 mEq).

Sicherlich tragen auch die guten Gene zur langen Lebensdauer bei, doch der Vorteil verschwindet komplett, wenn Menschen Okinawa verlassen und andere Ernährungs- und Lebensgewohnheiten annehmen. Der starke Trend hin zur westlichen Ernährung und zu Fast Food hat inzwischen seinen Tribut gefordert. Die Männer von Okinawa haben den ernährungswissenschaftlichen Gegenbeweis angetreten und sind im Jahr 2000 dank ihrer höheren Anfälligkeit für westliche Genüsse vom ersten auf den letzten Platz der Lebens­erwartung in Japan zurückgefallen. Die jüngere Generation ist die übergewichtigste in Japan. Erreicht wurde dies durch eine amerikanische Fast-Food-Kette und ein Schul­mahl­zeit-Programm mit Milch und Weißmehl. Die Frauen blieben ihrer traditionellen Ernährungsweise treu und genießen nach wie vor die weltweit höchste Lebenserwartung und die meisten gesunden Lebensjahre. Leider wird das Phänomen „Okinawa“ vielleicht bald Geschichte sein.