Die Proteinaufnahme in Deutschland liegt durchschnittlich 15-20 g über der offiziellen Zufuhrempfehlung. Jedoch nehmen auch etwa 11 % der Männer und 15 % der Frauen weniger als die täglich empfohlene Menge an Protein auf (MRI, 2008). Ist die Angst um einen Proteinmangel begründet? Welche Auswirkungen hat zu viel Protein? Und was ist die beste Proteinquelle?
In einer aktuellen Studie von Levine et al. (2014) war eine doppelt so hohe Proteinzufuhr im Alter zwischen 50 und 65 Jahren mit einer um 75 % erhöhten Gesamtmortalität und einer 4-fach erhöhten Krebsmortalität assoziiert. Diese Effekte traten nicht oder nur stark vermindert auf, wenn es sich dabei um pflanzliches Protein handelte. Bei Personen ab 65 Jahren ging eine erhöhte Proteinzufuhr hingegen mit einer reduzierten Gesamt- und Krebsmortalität einher. Die Diabetesmortalität war über alle Altersgruppen hinweg bei hoher Proteinaufnahme um das 5-Fache erhöht (Levine et al., 2014). Wie lassen sich diese Studienergebnisse erklären?
Personen unter 65 essen meist zu viel Protein
Eine erhöhte Proteinzufuhr aus tierischen Lebensmitteln bringt eine ungünstige Aminosäure-Zusammensetzung sowie zahlreiche negative Begleitstoffe mit sich, zum Beispiel gesättigte Fettsäuren, Cholesterin, Methionin, oft auch Hormone, resistente Keime und Kanzerogene (z. B. PAKs). Verarbeitete tierische Lebensmittel liefern zudem viel Natriumchlorid, säurebildendes Phosphat und Sulfat und fördern so eine latente Übersäuerung. Entsprechend weitreichend sind die damit einhergehenden gesundheitlichen Auswirkungen. Aus diesem Grund ist eine zu hohe Proteinzufuhr bei Menschen im mittleren Alter, die nicht mehr wachsen und keine Muskeln aufbauen, besonders ungünstig. Die tägliche Zufuhrempfehlung von 0,8 g Protein pro kg Körpergewicht (KG) (50-60 g/Tag) enthält bereits einen Sicherheitszuschlag und ist in der Regel mehr als genug.
Junge Frauen, Veganer und ältere Menschen sind mangelgefährdet
Bestimmte Bevölkerungsgruppen sollten jedoch auf eine ausreichende Proteinzufuhr achten. Hierzu gehören Mädchen und junge Frauen, die für eine schlanke Linie häufig insgesamt wenig und oft vor allem wenig Gesundes essen, Veganer sowie ältere Menschen ab 70 Jahren.
Ältere Menschen leiden häufig an einer Übersäuerung des Körpers. Vor allem im Alter geht diese mit einem Verlust an Muskel- und Knochenmasse einher. Zur Verhinderung des Muskelabbaus sollten sie täglich etwa 1 g Protein pro kg Körpergewicht aufnehmen und durch regelmäßige Bewegung Muskeln und Knochen vor einem frühzeitigen Abbau schützen. Zudem wirken basenbildende Kaliumverbindungen aus Gemüse, Kräutern und Obst, z. B. Kaliumcitrat, dem Muskel- und Knochenabbau entgegen und verringern den Calcium- und Proteinbedarf.
Eine übermäßige Proteinaufnahme sollte jedoch auch in höherem Alter vermieden werden. Dabei ist die sinnvolle Kombination von pflanzlichen Proteinquellen, wie Vollkorngetreide mit Hülsenfrüchten, die beste Wahl. Diese erreicht eine hohe biologische Wertigkeit und ist auch für Veganer wichtig, um ausreichende Mengen aller Aminosäuren aufzunehmen. Pflanzliche Proteinquellen liefern zudem reichlich basenbildende Kaliumverbindungen und wenig Natrium.
Lysin – kritisch bei pflanzlicher Ernährung
Bei veganer Ernährung kann die Aufnahmemenge der Aminosäure Lysin kritisch sein. Lysin ist die wichtigste essentielle Aminosäure für die Kollagenbildung und nötig für die effektive Bildung von elastischem Bindegewebe, das auch unsere Gefäße stabil macht. Ein Lysinmangel äußert sich u. a. in einer Bindegewebsschwäche (z. B. schlaffer Haut, vermehrter Anfälligkeit für Blutergüsse) und einer Immunschwäche.
Lysinreiche pflanzliche Lebensmittel sind insbesondere Hülsenfrüchte, Sojaprodukte, Amaranth und Quinoa. Veganer sollten hiervon täglich mehrere Portionen zu sich nehmen, um ihren Lysinbedarf zu decken.
Tierisches Protein fördert Bluthochdruck, Diabetes und Krebs
Tierisches Protein ist reich an Lysin. Das verhindert zwar einen Lysin-Mangel, doch in den großen Mengen, die in der westlichen Ernährung aufgenommen werden, führt Lysin aufgrund einer vermehrten Bildung von Kollagen zu einer Verdickung der Basalmembran und somit zu Bluthochdruck.
Dies erkannte bereits in den 1940er Jahren Prof. Dr. med. Lothar Wendt, der das Konzept der Eiweißspeicherkrankheiten (Hypoporopathie) prägte. Demnach wird überschüssiges, vor allem tierisches Protein in Bindegewebszellen gespeichert, was über eine Verdickung des Kollagengeflechtes, der Basalmembran und der Gefäßwände schließlich zu Bluthochdruck und Diabetes führt. Seit langem ist aus zahlreichen Studien bekannt, dass das Risiko für Hypertonie und Diabetes bei pflanzenbasierter Ernährung sehr stark reduziert ist.
Über verschiedene Faktoren fördert eine hohe Proteinzufuhr auch Krebserkrankungen. Eine proteinreiche Ernährung erhöht die Blutspiegel des anabolen IGF-1. IGF-1 fördert das Zellwachstum und hemmt die Apoptose, wodurch es Krebserkrankungen begünstigt.
Langlebige Vorbilder: Okinawa und die Adventisten
Alle sogenannten Blue Zones (Buettner, 2009), wissenschaftlich untersuchte Regionen mit besonderer Langlebigkeit, haben als gemeinsames Kennzeichnen, dass die Menschen dort als Hauptproteinquelle Hülsenfrüchte verzehren. Ein Beispiel hierfür ist die japanische Insel Okinawa. Dort gab es lange Zeit weltweit prozentual die meisten über hundertjährigen Menschen. Die Bewohner folgten traditionell einer relativ proteinarmen und mineralstoffreichen Ernährungsweise.
Ein weiteres Beispiel für gesunde Langlebigkeit sind die kalifornischen Adventisten. Vegetarische Adventisten leben im Schnitt 9,5 Jahre länger als die kalifornische Durchschnittsbevölkerung (Fraser und Shavlik, 2001). Dabei verzehren sie mit durchschnittlich 4,8 g Milchprotein (etwa 150 ml Milch) pro Tag nur sehr wenig Milchprodukte, aber 8 g Sojaprotein am Tag (Rizzo et al., 2013). Ihre Hauptproteinquelle sind demnach pflanzliche Lebensmittel.
Pflanzliche Proteinquellen wie Hülsenfrüchte, Getreide, Nüsse und Samen sind aufgrund ihrer Aminosäure-Zusammensetzung deutlich gesünder als Fleisch- und Milchprodukte. So liefern sie besonders viel Arginin, das für den Proteinstoffwechsel, einen normalen Blutdruck und gesunde Gefäße wichtig ist. Gleichzeitig liefern sie gesunde Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe, ungesättigte Fettsäuren und sekundäre Pflanzenstoffe.
Der Mensch wurde Jahrtausende nicht von Überfluss, sondern von Mangel bedroht. Doch heute hat unser Körper vielmehr ein Entsorgungs- als ein Versorgungsproblem. Unbewusst fällt es uns sehr schwer nachzuvollziehen, dass wir selbst eine Epidemie neuer Zivilisationserkrankungen geschaffen haben, die nicht durch Mangel, sondern durch Überfluss bedingt ist. Nachhaltige Gesundheit benötigt das rechte Maß in der Ernährung. Gesunderhaltung und Gesundung – natürliche Funktionen unseres genialen Organismus – geschehen häufig nicht durch das Hinzufügen von „mehr“, sondern durch das Weglassen von „zu viel“.
Eine ausreichende Proteinaufnahme ist für die Gesundheit essentiell, doch ebenso das Vermeiden einer übermäßigen Zufuhr. Tierische Proteinquellen bringen zahlreiche Nachteile mit sich, sinnvoll kombinierte pflanzliche Proteinquellen fördern dagegen die Gesundheit über vielfältige positive, synergistische Inhaltsstoffe.
Hier erhalten Sie den vollständigen Fachartikel von Dr. med. L.M. Jacob (2014) Von Eiweißmangel bis Eiweißmast: Wie viel Protein ist sinnvoll und welches? als PDF.