Warum müssen wir schlafen?
Der natürliche Schlaf-Wach-Rhythmus ist wichtig für die geregelte Funktion der verschiedensten Körperfunktionen wie Atmung, Blutdruck, Verdauung, Muskelspannung, Körpertemperatur, Hormone oder den Stoffwechsel.
Im Gehirn geschehen nachts Aufräum- und Reparaturvorgänge; die Nervenzellen regenerieren sich von der ständigen Beanspruchung am Tag. In der Nacht entstehen außerdem neue Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen, sodass neu Erlerntes im Gedächtnis gefestigt wird. Schlafentzug führt zu Konzentrationsstörungen und verringerter geistiger Leistungsfähigkeit, Gereiztheit und kann bis zu Persönlichkeitsstörungen und Suizidgedanken führen.
Spezialeinheit sichert Abfallentsorgung im Gehirn – das Glymphatische System
Jede Zelle produziert Abfälle, die normalerweise über die Lymphe aufgenommen und ins Blut abgegeben werden. Im Gehirn existieren jedoch keine Lymphgefäße. Diese Aufgabe übernimmt die Flüssigkeit, die das Hirn umgibt und schützt, der Liquor. Abfälle aus den Hirnzellen werden zunächst an die Flüssigkeit in den Zellzwischenräumen abgegeben. Diese Flüssigkeit gelangt in den Liquor, welcher schließlich ins Blut geleitet wird. Der Liquor und die Flüssigkeit in den Zellzwischenräumen sind also dafür zuständig, Abfälle aus dem Gehirn zu entsorgen.
Eine wichtige Rolle im Entsorgungssystem des Gehirns spielen spezielle Zellen, die in Anlehnung an die Lymphe „glymphatisches“ System genannt werden. Diese Zellen bilden ein Pumpsystem, angetrieben durch das Pulsieren des Blutes, welches die Zellzwischenraum-Flüssigkeit an den Gehirnzellen vorbei durch das Gehirn befördert.
Das glymphatische System ist im Schlaf zehnmal aktiver als im Wachzustand. So geschieht die Entsorgung von Abfallsubstanzen im Gehirn vor allem in der Nacht, wenn das Gehirn schläft und weniger beansprucht ist. Dann ziehen sich die Hirnzellen zusammen und erhöhen den Zellzwischenraum um 60 %. Auf diese Weise hat die Flüssigkeit mehr Platz sich zu bewegen und kann den Abfall, der sich tagsüber angesammelt hat, besser abtransportieren.
Schlafmangel fördert beta-Amyloid-Ansammlungen im Gehirn
Einer der Abfälle des Gehirns ist das Protein Amyloid-beta. Bei Alzheimer-Patienten sammelt sich dies in den Zellzwischenräumen vermehrt an und wird nicht wie vorgesehen entsorgt. Die Ansammlung von beta-Amyloid- ist einer der Schlüsselprozesse bei der Entstehung von Alzheimer. Studien ergaben, dass beta-Amyloid im Schlaf erheblich schneller aus dem Gehirn abgebaut wird als tagsüber. Schlafmangel beeinträchtigt die Funktion des glymphatischen Systems und geht mit größeren Ansammlungen von beta-Amyloid- im Gehirn einher. Schlaf ist also notwendig für aktives „Aufräumen“ im Gehirn.
Ausreichend erholsamer Schlaf ist daher voraussichtlich ein wichtiger Faktor bei der Prävention von Demenzerkrankungen. Studien bestätigen, dass die beta-Amyloid-Spiegel im Schlaf sinken. So zeigte eine Studie mit 13 Teilnehmern, dass eine Nacht ungestörter Schlaf den Amyloid-beta-42-Spiegel um 6 % reduziert (Ooms et al., 2014): Bei einer ganzen Nacht ohne Schlaf war dieser Effekt nicht vorhanden. Stattdessen führt eine Nacht ohne Schlaf zu einem signifikant erhöhtem Amyloid-beta -Werten im rechten Hippocampus und Thalamus (Shokri-Kojori et al., 2018). Chronischer Schlafmangel fördert daher die Ansammlung von beta-Amyloid und auch Alzheimer.
Eine andere Studie mit 70 Personen im durchschnittlichen Alter von 76 Jahren, die an keiner Demenz litten, ergab, dass ein kürzerer Nachtschlaf und schlechte Schlafqualität mit einer vermehrten Ansammlung von beta-Amyloid-Plaques im Gehirn einhergehen (Spira et al., 2013).
Zusätzlich stand bei Shokri-Kojori et al. (2018) der Amyloid-beta-Ausgangswert in umgekehrtem Zusammenhang mit den nächtlichen Schlafstunden. Dies kann eine Erklärung dafür sein, warum Alzheimer-Patienten häufig unter Schlafstörungen leiden. Studien zeigen, dass Alzheimer-Patienten mehr Zeit wach verbringen und häufiger nachts wach werden. Die Hälfte der Alzheimer-Patienten leidet unter Symptomen aufgrund von Schlafstörungen. Schlafmangel und auch Schlafstörungen wie Apnoe können das Alzheimer- und Demenzrisiko steigern.
Neben der Schlafdauer ist auch die Schlaftiefe von Bedeutung, die sich erheblich auf die Schlafqualität und die Erholung im Schlaf auswirkt. Empfehlenswert ist das Messen der Schlaftiefe, z. B. mit einer Smartwatch.
Doch die gute Nachricht ist: Schlafstörungen können behandelt werden. So kann eine entsprechende Therapie dazu beitragen Alzheimer vorzubeugen.
Schlafapnoe kann zu Alzheimer führen
Das Gehirn des Menschen ist sehr empfindlich gegenüber einer unzureichenden Versorgung mit Blut (Ischämie), Sauerstoff (Hypoxie) und Glukose. Bei der obstruktiven Schlafapnoe passiert genau das: Der arterielle Blutfluss wird um bis zu 80 % reduziert, was zu einer zerebralen Ischämie führt und die Versorgung mit Sauerstoff und Glukose beeinträchtigt. Dadurch kommt es sowohl zu einem Verlust an Gehirnmasse (Apoptose) als auch zur vermehrten Bildung von beta-Amyloidpeptiden und zu Tau-Phosphorylierungen. Dies geht mit einer Beeinträchtigung der Gedächtnis- und der kognitiven Leistung und letztlich mit einer Alzheimer-Demenz einher (Daulatzai, 2012).
Mit Schlaf und gesundem Lebensstil Demenz vorbeugen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Demenzerkrankungen in erkennbaren Zusammenhang mit Schlafstörungen stehen, wobei dem glymphatischen System eine besondere Bedeutung zukommt. Die glymphatische Clearance spielt eine wichtige Rolle beim Krankheitsgeschehen von Alzheimer. Der Großteil der Abfallbeseitigung durch das Glymphatische System findet während des Schlafs statt. Ein gesundes Schlafverhalten kann sich daher durch eine verbesserte glymphatische Clearance positiv auf die Gehirnalterung und das Alzheimer-Risiko auswirken.
Neben dem Schlafverhalten beeinflussen auch weitere Lebensstilfaktoren wie Alkoholkonsum, Bewegung, Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren und chronischer Stress die glymphatische Clearance und bieten weitere Möglichkeiten zur Prävention von Demenzerkrankungen (Reddy und van der Werf, 2020).
Literatur:
- Daulatzai MA (2012): Quintessential risk factors: their role in promoting cognitive dysfunction and Alzheimer’s disease. Neurochem Res; 37(12): 2627-2658.
- Ooms S, Overeem S, Besse K, Rikkert MO, Verbeek M, Claassen JA. Effect of 1 night of total sleep deprivation on cerebrospinal fluid β-amyloid 42 in healthy middle-aged men: a randomized clinical trial. JAMA Neurol. 2014 Aug;71(8):971-7.
- Reddy OC, van der Werf YD. The Sleeping Brain: Harnessing the Power of the Glymphatic System through Lifestyle Choices. Brain Sci. 2020;10(11):868. Published 2020 Nov 17. doi:10.3390/brainsci10110868
- Shokri-Kojori E, Wang GJ, Wiers CE, et al. β-Amyloid accumulation in the human brain after one night of sleep deprivation. Proc Natl Acad Sci U S A. 2018;115(17):4483-4488. doi:10.1073/pnas.1721694115
- Spira AP, Gamaldo AA, An Y, Wu MN, Simonsick EM, Bilgel M, Zhou Y, Wong DF, Ferrucci L, Resnick SM. Self-reported sleep and β-amyloid deposition in community-dwelling older adults. JAMA Neurol. 2013 Dec;70(12):1537-43.